§ 27 May 2024

„Möchte der Kläger die Klage zurücknehmen?“

Ein Ablehnungsgesuch und eine kurze Stellungnahme zum § 36a SGB I

Wichtiger Hinweis: Dieser Text stellt explizit keine Rechtsberatung oder Ähnliches dar.
Ich bin weder Rechtsanwalt noch habe ich eine andere juristische Ausbildung.
Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung nach bestem Wissen und Gewissen dar.


Vorbemerkung

Liebe Leserinnen und Leser,

heute möchte ich Ihnen ein neues Highlight aus einem Verfahren beim SG Dortmund vorstellen. In dem Artikel „Die Klage hat daher keine Erfolgsaussichten“ habe ich Ihnen schon die Reaktion auf einen voreiligen Hinweis der zuständigen Kammer vorgestellt.

Ich war zuversichtlich, dass meine Reaktion entsprechend vom Gericht berücksichtigt wird. Doch leider wurde ich ein Stück weit enttäuscht. Vor einigen Tagen flatterte nämlich ein weiterer Hinweis herein.

Habe ich etwa in der vorherigen Stellungnahme einen Fehler gemacht? Ausschließen kann ich dies nicht, doch etwas kann ich mit Sicherheit ausschließen: Weder die vorherige Stellungnahme noch alle anderen Einreichungen wurden durch die Mitglieder der Kammer gelesen.

Für den weiteren Kontext möchte ich erwähnen, dass zum Jahreswechsel 23/24 der Vorsitz der Kammer gewechselt hat. Damit ist der neue Hinweis von einer anderen Richterin verfasst worden. Auch ist dieser ausführlicher (1,5-Seiten). Doch gerade aufgrund der detaillierteren Argumentation wird ersichtlich, dass ein tieferer Blick in die Akte ausgeblieben ist.

Daher stellt sich für mich die Frage, wie ich nun damit umgehen soll. Es geht hier immerhin um das Grundrecht des »rechtlichen Gehörs«. Hiermit wird jedem Bürger garantiert Recht, dass Gerichte den Vortrag des Bürgers berücksichtigen. Das bedeutet naturgemäß nicht, dass diesem Vortrag auch gefolgt werden muss. Aber er muss zur Kenntnis genommen werden und, wenn dieser zutreffend und erheblich ist, berücksichtigt werden.

Aufgrund der Zweifel, die jetzt bestehen, dass hier das rechtliche Gehör gewahrt bleibt, habe ich mich entschieden ein »Ablehnungsgesuch«, gemeinhin als Befangenheitsantrag, zu stellen. Erst darauffolgend wiederum äußere ich mich noch kurz bezüglich des Hinweises.

Seit dem letzten Artikel hat sich, nach meiner erneuten Recherche gezeigt, dass mittlerweile auch das Bundessozialgericht die von mir vertretene Meinung teilt. Diese verweist explizit auch auf das von mir genutzte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, welches ich in meiner ersten Stellungnahme zum Dreh- und Angelpunkt meiner Argumentation gemacht habe. Im Grunde ist meine Argumentation damit durch das höchste Gericht der Sozialgerichtsbarkeit bestätigt.

Ich hoffe immer noch, dass sich die Angelegenheit nun endlich klärt. Denn wie im ersten Artikel erwartet, hat das Verfahren mittlerweile Geburtstag gefeiert.

Folgend finden Sie meine neue Reaktion auf den Hinweis. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen, wenn Sie sich diese zur Genüge tun.

Um die Anonymität aller Beteiligten zu wahren, wurden entsprechende Daten aus dem Text entfernt.

Ablehnungsgesuch

Hiermit lehne ich die zur Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit berufene Richterin Frau XXXXXX wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Zugleich bitte ich darum, die abgelehnte Richterin aufzufordern, sich zum nachfolgenden Ablehnungsgesuch gem. § 44 Abs. 3 ZPO dienstlich zu äußern.

Ferner beantrage ich, die dienstliche Äußerung dem Sozialgericht Dortmund zur Kenntnisnahme und zur Stellungnahme zuzuleiten.

Begründung

Zur Begründung des Ablehnungsgesuchs wird Folgendes vorgetragen:

Verfahren mit dem Az. S XX XX XXXX/23

In meiner Klageschrift vom XX.XX.2023 habe ich vorgetragen, dass der Widerspruch der Beklagten zugegangen ist und „mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen“ war. Dies habe ich in meinen weiteren Stellungnahmen konsequent weiter ausgeführt.

Des Weiteren habe ich in meiner Klageschrift den Erhalt des Hinweises der Beklagten vom XX.XX.2022 bestritten. Dieser ist mir erstmals durch den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom XX.XX.2023 bekannt geworden.

Mit Schreiben vom XX.XX.2023 habe ich den ersten Hinweis des Gerichtes erhalten, „dass mit einfacher E-Mail die gesetzlich vorgeschriebene Form eines Widerspruchs nicht gewahrt wird“. Daraufhin habe ich die genauen Umstände der Einreichung meines Widerspruchs mit Schreiben vom XX.XX.2023 detailliert dargelegt.

Darin habe ich insbesondere erneut und prägnant klargestellt, dass ich meinen Widerspruch nicht per einfacher E-Mail eingelegt habe, sondern diesen mithilfe eines elektronischen Dokuments, versehen mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, eingelegt habe.

Ferner habe ich darin auch mithilfe eines Urteils1 des BVerwG vom 07.12.2016 dargelegt, dass die von mir vorgenommene Einlegung des Widerspruchs die Formerfordernisse erfüllt. Auch die Übertragbarkeit der Rechtssprechung auf die Sozialgerichtsbarkeit habe ich dargelegt. Wie sich bei meiner erneuten Recherche gezeigt hat, wird auf diese Rechtssprechung mittlerweile auch vom BSG verwiesen.2 Meine Ausführung sind damit vollumfänglich auch im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit bestätigt worden.

Der mir am XX.XX.2024 zugegangene erneute Hinweis des Gerichts stützt sich erneut darauf, dass ich meinen Widerspruch mit einfacher E-Mail eingelegt haben soll. Zusätzlich wird darin auch der Hinweis der Beklagten vom XX.XX.2022 erwähnt bzw. damit gegen meinen Standpunkt argumentiert. Aus diesem Hinweis ist für mich nicht ersichtlich bzw. zweifelhaft, ob meine Äußerungen Beachtung gefunden haben. Damit einhergehend habe ich Zweifel, dass der Angelegenheit die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Verfahren mit dem Az. S XX XX XXX/24 XX

In einem weiteren Verfahren unter dem Vorsitz von Frau XXXXXX mit dem Az. S XX XX XXX/24 XX erhielt ich am 20.XX.2024 die auf den 15.XX.2024 datierte Aufforderung zur Stellungnahme bzgl. der Erwiderung des Antragsgegners innerhalb von 3 Tagen. Diesem wurde in dem Verfahren, trotz fehlender Rückmeldung und der Eilbedürftigkeit, für seine Erwiderung eine erhebliche Fristverlängerung gewährt.

Bezüglich meiner Stellungnahme wurden die vorgegebenen 3 Tage wiederum vonseiten des Gerichts nicht eingehalten. Der für mich negative Beschluss wurde mir am ebenfalls am 20.XX.2024 zugestellt. Ich hatte somit keine Möglichkeit, mich in dem Verfahren weiter zu äußern.

Hier ergibt sich der Verdacht einer erheblichen Ungleichbehandlung, welcher sich augenscheinlich im noch anhängigen Verfahren fortsetzt.


Alternativ lässt die Sachlage in beiden Verfahren auch den Verdacht zu, dass von Beginn an eine Entscheidung von Seiten des Gerichts feststeht und daher meine Stellungnahmen nicht berücksichtigt bzw. gar nicht erst abgewartet werden.

Es geht mir bei diesem Ablehnungsgesuch daher nicht um eine etwaige unterschiedliche Rechtsauffassung von Frau XXXXXX, sondern insbesondere darum, dass ich den Eindruck habe, dass die bekannten und detailliert erläuterten Tatsachen in dem Verfahren mit dem Az. S XX XX XXXX/23 nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Grundsätzlich kann ich nicht ausschließen, dass meine Rechtsansicht fehlerhaft sein könnte. Aber ich kann erwarten, dass meine Stellungnahmen gegenüber dem Gericht entsprechend zur Kenntnis genommen werden und im weiteren Verfahrensverlauf auch Beachtung finden.

Ferner möchte ich mit diesem Ablehnungsgesuch auch sicherstellen, dass die Angelegenheit nicht nur mittelbar über einen Rechtspfleger, sondern unmittelbar durch die zuständige Richterin betrachtet wird. Meine Erfahrungen mit der XX. Kammer des SG Dortmund decken sich überhaupt nicht mit jenen aus der Gerichtsbarkeit in anderen Rechtsbereichen bzw. den anderen Kammern dieses Gerichts. Mir ist es daher auch wichtig zu verstehen, warum meine Ausführungen nun zum zweiten Mal keine Beachtung fanden und ob ich möglicherweise für die Zukunft an meiner Vorgehensweise etwas ändern muss, damit meine Äußerungen entsprechend gewürdigt werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit in der Angelegenheit.

Erwiderung

Die Klage wird nicht zurückgenommen.

Mit Verweis auf meine Ausführungen im Schreiben vom XX.XX.2023, insbesondere bezüglich des Urteils des BVerwG1 habe ich meinen Widerspruch nicht per einfacher E-Mail eingelegt. Wie in dem Schreiben ausgeführt, und in der Vergangenheit durchgängig erwähnt, habe ich den Widerspruch mit einem elektronischen Dokument, versehen mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, eingereicht.

Die E-Mail diente hierbei nur als Transportmittel und ist, entsprechend der Ausführungen des BVerwG, „mangels eines eigenständigen formbedürftigen Erklärungsinhalts mit dem Vorblatt einer Faxübertragung vergleichbar“3.

Diese Auffassung wird auch laufend vom BSG bestätigt: Mit Urteil vom 27.09.2023 führt das BSG aus, dass „[i]m Verwaltungsverfahren […] die Einreichung eines Widerspruchs über den Übermittlungsweg einer einfachen E-Mail daher nicht ausgeschlossen“4 ist. In einem solchen Fall „ist die Verwendung eines elektronischen Dokuments mit einer qualifizierten elektronischen Signatur erforderlich, aber auch ausreichend5.

Ebenso kann davon ausgegangen werden, dass „[s]oweit eine Behörde ein E-Mail-Postfach hat, […] sie qualifiziert signierte Dokumente elektronisch empfangen“6 kann. Hierzu wird weiter auf die Bundesrat-Drucksache 557/12, S. 49 verwiesen.

Eine qualifizierten elektronischen Signatur kann weiterhin mit jeder handelsüblichen PDF-Anzeige Software geprüft werden. Hierzu ist, nach eigener Prüfung, sogar der in Windows 10 standardmäßig enthaltende Browser „Edge“ fähig. Neben den bisher von der Beklagten angenommenen formbedürftigen Erklärungen, im selben Format wie der Widerspruch, ist es damit praktisch an jedem Computer möglich, solche PDF-Dokumente anzuzeigen und die enthaltende Signatur zu prüfen. Ältere Versionen als Windows 10 kann man hierbei als bedeutungslos betrachten, da diese keine Sicherheitsupdate mehr erhalten und damit, aus Datenschutzgründen, von der Beklagten nicht mehr eingesetzt werden (dürfen).

Zusammenfassung

Zusammenfassend habe ich meinen Widerspruch als elektronisches Dokument, versehen mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, eingereicht. Eine einfache E-Mail liegt hier daher unzweifelhaft nicht vor.

Ferner habe ich nachgewiesen,

  • dass dieses elektronische Dokument die Formerfordernisse erfüllte,
  • unstreitig bei der Beklagten eingegangen ist
  • und für diese lesbar war.

Über die qualifizierten elektronischen Signatur war bzw. ist es für die Beklagte möglich gewesen, meine Urheberschaft und die Unveränderbarkeit des Dokuments zu prüfen. Die Beklagte ist hierzu, wie in meinen vorherigen Äußerungen im Laufe des Verfahrens gezeigt, technisch in der Lage und konnte diese Prüfung in der Vergangenheit ohne Problemen vornehmen.


Ich bitte das Gericht daher, einen Termin für eine mündliche Verhandlung anzusetzen.

Ferner möchte ich hier an dieser Stelle schon ein Mal auf § 144 Abs. 2 Punkt 2 SGG hinweisen. Wie oben gezeigt gibt es mittlerweile ein Urteil des BSG hinsichtlich einer Fallgestaltung wie die vorliegende. Falls das Gericht in einer folgenden Entscheidung in diesem Verfahren hiervon abweichen möchte, halte ich die Zulassung zur Berufung für geboten. Ich möchte daher proaktiv darum bitten, diese in einem etwaigen Urteil zuzulassen.