15 August 2023

Turbulenzen in der Sozialhilfe: Navigieren durch das Labyrinth der Wohnkosten im Bürgergeld.

Liebe Leserinnen und Leser,

ich habe heute eine spannende Neuigkeit zu teilen. Im Sinne der Transparenz, für welche Der Zaunpfahl steht, habe ich vor ein paar Tagen eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz an den Hochsauerlandkreis gestellt und möchte Sie hier über den gesamten Verlauf des Prozesses, von der Grundidee, über die Beschaffung der nötigen Informationen hin zum darauf aufbauenden Artikel mitnehmen. Von der Metapher des letzten Artikels etwas verstört – wer hätte ahnen können, dass sich die Züge hier immer verspäten? – setze ich heute auf das Flugzeug und hoffe, dass wir damit schneller zum Ziel kommen. Der Reisebericht diesmal wird sehr detailliert liebe Leserinnen und Leser. Also, sind Sie bereit, ein Ziel auszuwählen? Schauen wir mal, wohin uns unser begrenztes Budget bringen wird.

Wahl eines Reiseziels oder „Von dem Problem der Wohnungskosten im Bürgergeld“

Unser Budget ist knapp, aber dieses Problem kennen man nicht nur vom Reisen, sondern auch im Bürgergeld. Vor kurzem habe ich in einer Neheimer Facebook-Gruppe eine Nachfrage gesehen, in der es darum ging, welche Wohnungskosten vom Jobcenter Arnsberg im Bürgergeldbezug übernommen werden. Leider war die richtige Antwort nicht dabei. Wobei es, je nach Perspektive, vielleicht auch keine einfache Antwort gibt. Aber fangen wir ganz unten an. Im Bürgergeldbezug werden die Kosten „[…] für Unterkunft und Heizung […] in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind(.)“1 Doch was bedeutet dies nun konkret?

Ganz wie bei dem Essen der Fluggesellschaften ist dieser Satz etwas schwer zu verdauen. Also versuchen wir es mal ganz einfach, um auch sich hartnäckig haltende Gerüchte über das Thema etwas entgegensetzen zu können. Im Bürgergeldbezug werden die tatsächlich anfallenden Kosten für Wohnung, Nebenkosten und Heizung vom Jobcenter übernommen, sofern sie angemessen sind. Es werden vom Jobcenter also die wirklich gezahlten Beträge für die Miete, Nebenkosten und Heizkosten übernommen. Sie überweisen an ihren Vermieter 450 €? Dann muss das Jobcenter ihnen diese 450 € zur Verfügung stellen! Aber warten Sie mal, war da nicht noch die Rede davon, dass diese Kosten angemessen sein müssen? Hier – ich warne Sie vor – sind wir schon an dem Teilsatz angekommen, welcher für uns eigentlich wirklich wichtig ist. Was bedeutet diese Angemessenheit denn jetzt?

Nun, diese »Angemessenheit« ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Halten Sie kurz inne, es wird jetzt kurz etwas schwierig, aber so ist das manchmal, wenn man noch nicht sicher ist, wohin man reisen soll. Es geht bei dem Wortungetüm den unbestimmten Rechtsbegriff darum, einen Spielraum zu schaffen. Stellen Sie sich vor, man würde im Gesetz eine konkrete Miethöhe anhand einer Durchschnittsmiete in Deutschland festlegen. Am Ende würde damit der eine in einer günstigeren Gegend einen kleinen Palast mieten können, der andere in einer teuren Gegend wäre aber schon mit der Stellplatzmiete für ein Zelt überfordert. Das heißt, was angemessen ist, bestimmt nicht der Bürgergeldempfänger noch das Jobcenter, sondern die Umstände. Ich würde sagen, langsam sind wir so weit, uns für ein Ziel zu entscheiden, meinen Sie nicht? Auf, auf zu den Umständen!

Packliste zum Ziel der Umstände

Ich habe ein etwas schlechtes Gewissen. Nun haben wir uns für das Ziel der Umstände entschieden, aber seien wir mal Ehrlich. Wir wissen immer noch nicht so wirklich, was dieser Begriff genau bedeutet. Also fangen wir doch einfach an, getreu unserer Reisemetapher, eine Packliste zu schreiben. Um die Übersicht zu behalten, teilen wir diese Packliste noch etwas auf. Wir haben zwei Koffer. Ein mal unseren ganz persönlichen, in diesen packen wir nur Umstände, welche direkt mit uns zu tun haben. Zum anderen haben wir einen Koffer, welchen wir nicht selbst packen, sondern die Umgebung in der wir Leben.

Persönliche Packliste

Dieser Koffer enthält alle Faktoren, die mit Ihrer persönlichen Situation zu tun haben:

  1. Größe der Bedarfsgemeinschaft: Wie viele Personen gehören zu Ihrer Bedarfsgemeinschaft? Jede weitere Person in Ihrem Haushalt könnte eine höhere angemessene Miete bedeuten.
  2. Alter und Gesundheitszustand: Sind Sie oder ein Mitglied Ihrer Bedarfsgemeinschaft älter oder gesundheitlich beeinträchtigt? Manche Menschen haben spezielle Bedürfnisse, die eine bestimmte Art von Unterkunft erfordern.
  3. Besondere Bedürfnisse: Gibt es andere Faktoren, die besondere Bedürfnisse hervorrufen könnten? Beispielsweise könnte eine behindertengerechte Wohnung notwendig sein oder ein Platz für häusliche Pflege.

Umgebungspackliste

Dieser Koffer enthält alle Umstände, die mit Ihrer Umgebung zu tun haben:

  1. Durchschnittliche Mietpreise in Ihrer Gegend: Wie teuer ist Wohnraum in Ihrer Gegend generell? In Gebieten mit hohen Mietpreisen muss das Jobcenter höhere Mieten als angemessen betrachten.
  2. Verfügbarkeit von geeignetem Wohnraum: Wie einfach ist es, eine passende Wohnung zu finden? Wenn es in Ihrer Gegend einen Mangel an geeignetem Wohnraum gibt, könnte das Jobcenter gezwungen sein, höhere Mieten zu akzeptieren.
  3. Entwicklung der Mietpreise: Wie haben sich die Mieten in den vergangenen Jahren entwickelt? Steigende Mieten könnten dazu führen, dass das Jobcenter seine Angemessenheitsgrenze nach oben korrigieren muss.

Vielleicht ist es ihnen schon aufgefallen, aber um ganz sicherzugehen, es gibt keine Packliste, welche das Jobcenter betrifft. Das klingt vielleicht erst mal unglaublich. Doch wir können nun, da wir ein Ziel und zwei Packlisten haben, schon mal ein kleines Fazit ziehen: Nicht das Jobcenter entscheidet, welche Mieten, Nebenkosten und Heizkosten angemessen sind, sondern ihre persönlichen Umstände und die Umstände ihrer Umgebung.

Was fehlt uns jetzt noch? Wir haben ein Ziel, unsere Koffer sind gepackt, aber ich habe das ungute Gefühl, dass wir etwas vergessen haben. Ich möchte sie und ihre Gedanken jetzt einmal proaktiv stoppen. Falls Sie sich gedacht haben, dass wir doch einfach mal beim Jobcenter nachfragen könnten, was wir vergessen haben, klingt das im ersten Moment nach einer guten Idee, doch ich zeige Ihnen sofort, warum es eben keine gute Idee ist.

Statistik der Schande

Stellen Sie sich vor, sie möchten eine Reise buchen und könnten zu den Fluggesellschaften, welche zur Auswahl stehen, direkt sehen, wie oft etwas schiefläuft. Welche Fluggesellschaft würde Sie wählen, wo würde ihre Grenze liegen? Ich würde keine Fluggesellschaft wählen, bei der, bei jeder zweiten Reise etwas schiefläuft, Sie etwa? Übertragen auf das Übergeld, müssen wir den Vergleich sogar noch etwas verschärfen. Denn, wenn das zuständige Jobcenter einen Fehler macht, fehlt ihnen letztlich einfach das Geld zum Leben. Zurück zu den Fluggesellschaften müssten die Frage also lauten: „Würden Sie eine Fluggesellschaft wählen, bei der die Passagiere, bei jeder zweiten Reise, nicht gesund am Ziel ankommen?“

Die Jobcenter in Deutschland zumindest schaffen dies nicht. Jeder zweite Bescheid über Leistungen des Bürgergeldes ist in Deutschland fehlerhaft.2 Eine Fluggesellschaft mit solch einer Statistik würde unverzüglich auf der Schwarzen Liste landen und dürfte innerhalb der EU ganz sicher nicht fliegen. Doch warum sind so viele Bescheide falsch und warum ändert sich dies nicht?

Wenn Sie morgens zur Arbeit gehen und ihrem Chef erzählen, dass sie ab heute jede zweite Aufgabe falsch erledigen, können Sie sich selbst sicher vorstellen, dass dies ihr letzter Tag war. Doch bei den Jobcentern scheint solch ein Verhalten, aus unerklärlichen Gründen, keinerlei Konsequenzen zu haben. Falls Sie sich fragen, wieso das so ist, möchte ich mich dieser Frage einfach anschließen. Erklären kann ich das leider auch nicht. Doch folgt daraus, wie vorhin schon angerissen, dass es keine gute Idee ist, sich beim Jobcenter einen Rat einzuholen. Man kann davon ausgehen, dass mindestens jede zweite Auskunft, ähnlich wie bei den Bescheiden, welche wir uns einholen würden, schlicht und ergreifend einfach falsch ist.

Doch es naht Rettung… oder nicht?

Abflugvorbereitungen und das ominöse Konzept zur Ermittlung der Bedarfe für Unterkunft

Bis hier hin haben wir uns zusammen schon einiges an Informationen erarbeitet und jetzt wird es langsam ernst. Wie zu Beginn erklärt, wird unsere Reise etwas länger dauern und dieser Artikel stellt nur den ersten Abschnitt dar. Zur Vereinfachung, welche Kosten nur angemessen sind oder nicht, hat sich der Gesetzgeber etwas ausgedacht. Die übergeordneten Landkreise, hier der Hochsauerlandkreis, sind angehalten, ein Konzept zur Ermittlung der Bedarfe für Unterkunft zu erstellen. Damit soll sichergestellt sein, dass plausibel erarbeitet worden ist, welche Kosten als angemessen gelten.

Um nun abheben zu können, benötigen wir natürlich unsere Abflugcheckliste und diese heißt hier Konzept zur Ermittlung der Bedarfe für Unterkunft. Ab hier wird es, wenn man die Fehlerquote der Jobcenter sieht, interessant. Zur Erstellung eines Konzepts zur Ermittlung der Bedarfe für Unterkunft sollen die Umstände der Umgebung rechtssicher beobachtet und daraus berechnet werden, welche Kosten angemessen sind. Doch, und ich glaube, hier können sie sich ohne Probleme anschließen, dass ein Behördenapparat mit einer solch miserablen Fehlerquote auch bei diesem Konzept keine ordentliche Arbeit abliefern kann. Daher habe ich das aktuelle Konzept beim Hochsauerlandkreis angefordert. Wie, sie glaube nicht, dass der Kreis mir dieses zur Verfügung stellt? Zumindest das Informationsfreiheitsgesetz sagt hier etwas anderes.

Das Informationsfreiheitsgesetz ermöglicht uns Bürgern, alle möglichen Informationen bei unserer Verwaltung einzufordern. Auch hier geht natürlich nicht alles ohne Probleme vonstatten. Deswegen lade ich Sie zu unserem nächsten Beitrag ein, um zu sehen, wie diese Anfrage vonseiten des Hochsauerlandkreises beantwortet wird und ob wir gezwungen sein werden, die angeforderten Daten heraus klagen zu müssen.

Liebe Leserinnen und Leser, ohne Checkliste aka „Konzept zur Ermittlung der Bedarfe für Unterkunft“ geht es erst mal nicht weiter. Deswegen bleibt nur noch eins zu sagen: „Abflug verschoben und bis zum nächsten Mal!“